Potsdam, Brandenburg. Im Mai letzten Jahres fand in Potsdam der viertägige Familien- und Gemeindeausflug “Wind und Weite” statt. Es wurde über Weltfrieden, bereits erreichte Ziele auf dem Weg dorthin und den Aufbau lebendiger Nachbarschaften gesprochen. Während zu Beginn niemand dachte, dass so ein Event mit über 100 Personen funktionieren würde, blickt die Gruppe nun freudig zurück und kann sich sogar vorstellen, beim nächsten Ausflug noch mehr Familien mitzunehmen. Marcel, Sophie und Christof haben dabei viel gelernt und teilen nun ihre Erfahrungen.
Wie ist es zum Familiencamp gekommen?
Marcel: „Als Bahá’í-Gemeinde Potsdam haben wir zehn Jahre lang regelmäßig Ausflüge gemacht. Wir haben uns dann letztes Jahr die Frage gestellt, ob wir eine so interne Veranstaltung noch benötigen und herausgefunden, dass wir den Kreis gerne öffnen möchten für alle, die sich in den Stadtteilen engagieren.”
Sophie: “Und dann fing es damit an, dass wir nach einer größeren Location für bis zu 80 Personen gesucht haben. Wir haben einen sehr schönen Ort mitten in der Natur gefunden. Dort kamen 111 Leute zusammen. Wir haben über die Vision der Einheit aller Menschen, unseren Weg zum Weltfrieden, den Aufbau lebendiger Nachbarschaften und Erziehung gesprochen. Wir haben immer wieder ganz praktisch überlegt, wie wir zum sozialen Wandel beitragen können.”
Wieso kamen so viele Leute?
Sophie: “Wir hatten zuerst gar nicht mit einer so großen Teilnehmerzahl gerechnet. In der Reflexion haben wir festgestellt, dass der Titel ‘Familiencamp’ entscheidend war. Es war also von vorneherein klar, dass sich zu dieser Veranstaltung nicht Einzelne anmelden, sondern ganze Familien. Dadurch konnten wir ganz viele Familien erreichen, von denen bisher nur ein Mitglied bei den Aktivitäten dabei war.”
Marcel: “Wir haben den Ausflug als Jahreshöhepunkt kommuniziert und jeder hat dann versucht, jeden zu mobilisieren aus der eigenen und aus anderen Familien.“
Sophie: “Wir haben im Januar angefangen, die Freunde einzuladen. Für viele war schnell klar, dass sie mit der ganzen Familie teilnehmen möchten. In anderen Familien gab es Einzelne, die nicht mitkommen wollten. In persönlichen Gesprächen wurde jedoch die Wichtigkeit der Teilnahme erkannt und für Minderjährige, deren Eltern nicht mitkommen konnten, wurden Aufsichtspersonen gefunden. Ich habe auch viele Gespräche mit den Eltern aus der Juniorjugend-Gruppe geführt und sie mit unserem Flyer zum Ausflug eingeladen. Viele konnten sich nicht vorstellen, was bei dem Ausflug passiert. Wir haben dann viel miteinander geredet und mehr und mehr Klarheit geschaffen. Zudem gab es ein Einladungsvideo, in dem vermittelt wurde, was beim Familiencamp zu erwarten ist. Das Wissen darüber, was da passiert, hat viele Zweifel beseitigt und es wurde klar: Das will ich für mich und meine Familie!”
Christof: “Das war etwas, was wir noch nie hatten und ich möchte auch einmal hervorheben, wie mutig alle Beteiligten waren. Viele waren davor noch nie bei einer Aktivität der Bahá’í-Gemeinde dabei. Und wir hatten noch nie so ein großes Camp organisiert mit Essen, Anfahrt, Räumlichkeiten, Programm usw. Doch in der Gemeinschaft haben wir es geschafft und dieser Geist der Gemeinschaft hat sich dann auch auf die Atmosphäre übertragen.”
Marcel: “Natürlich gab es auch logistische Herausforderungen. Das Ausflugsziel lag zwei Stunden von Potsdam-West entfernt und war schlecht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Wir haben also Fahrgemeinschaften und Zugfahrten organisiert. Manche kamen sogar mit dem Fahrrad. Wir haben versucht, die Anreise für alle so unkompliziert wie möglich zu gestalten.”
Wie sah die Beteiligung vor Ort aus?
Christof: “Die Beteiligung war mehr als gut, sonst hätte das Ganze auch nicht gelingen können. Schon im Vorfeld musste viel organisiert werden und da fühlten sich viele verantwortlich, die sich entweder von sich aus gemeldet hatten oder gefragt wurden, etwas beizutragen. Auf dem Camp war das genauso. Für das Essen beispielsweise gab es Gruppen, die von sich aus eine starke Einheit gebildet haben und weitere Freunde ins Boot geholt haben. Man hatte nicht das Gefühl, dass die Arbeit an wenigen hängen bleibt, sondern es waren alle beteiligt und hatten ein Auge darauf, dass das Camp funktioniert. Jeder fühlte sich angesprochen, verantwortlich und hat freudig mitgeholfen.”
Wo wurden Vielfalt und Einheit sichtbar?
Marcel: “Das war schon ein sehr bunter Haufen. Wir hatten neun Muttersprachen, viele verschiedene Altersgruppen und Fähigkeiten vereint. Das jüngste Kind war noch im Bauch und der älteste Teilnehmer 80 Jahre alt. Es waren zudem circa 40 Jugendliche. Das war eine total schöne Mischung! Besonders in den Andachten hat sich die Einheit in der Vielfalt widergespiegelt. Das hat viele sehr berührt.”
Christof: “Ich habe das auch beim Essen beobachtet. Am Anfang saßen die Leute zusammen, die gemeinsam angereist sind oder die, die durch Herkunft, Alter, Sprache und Nachbarschaft verbunden waren. Das wurde jedoch mehr und mehr gemischt. Es wurde der Mut gefunden, sich dazuzusetzen oder wenn man sich tagsüber kennengelernt hatte, hat man sich dann beim Essen weiter ausgetauscht. Das hat sich dann ganz natürlich ergeben.”
Marcel: “Es sind Freundschaften gewachsen. Das Menschsein an sich stand im Vordergrund und der Rest spielte keine Rolle.”
Christof: “Ich dachte: Was kommen da für Welten zusammen? Da haben vier Tage lang Menschen zusammengelebt, die im Alltag vermutlich wenig Berührungspunkte haben.”
Welche Wandlung konnte während des Camps beobachtet werden?
Marcel: “Im Laufe des Camps fühlte sich jeder mehr und mehr inkludiert und nahm dadurch auch Verantwortung wahr. Das lag auch an den verschiedenen Arbeitsgruppen, in denen man in kurzer Zeit Gemeinsamkeiten entdecken konnte. Ich spürte auch eine göttliche Bestätigung für das, was wir da ermöglicht haben. Uns allen wurde gezeigt: Ihr seid Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichen Alters, die Freunde sein können.”
Christof: “Die Wandlung war jedoch nicht stetig steigend, sondern eher wellenartig. Bei den Juniorjugend-Gruppen gab es zeitweise auch große Herausforderungen. Es hat etwas gedauert, bis man vom ICH zum WIR kam, die Widerstände überwinden und dabei auch das Persönliche zurücknehmen und sich auf Neues einlassen konnte. Diese Wandlung hat natürlich in jedem Einzelnen anders ausgesehen.”
Wie ist es danach weitergegangen?
Sophie: “Alle, die bei ‚Wind und Weite‘ waren, sind in irgendeiner Weise in Aktivitäten hier in der Nachbarschaft integriert. Der Geist des Familiencamps wurde also direkt weiter in die Kinderklassen, Juniorjugend-Gruppen und ins Nachbarschaftstreffen getragen. Zwei Monate später haben wir dann einen Familientag organisiert. Hier kamen einige, die auch bei ‚Wind und Weite‘ waren, aber auch neue Freunde. Dort haben wir den Geist des Familiencamps wieder aufleben lassen.”
Christof: “Wir haben bei ‚Wind und Weite gelernt, große Gruppen anzuleiten. Das hilft uns auch bei anderen Aktivitäten.”
Sophie: “Genau. Wir haben jetzt auch keine Angst mehr vor großen Zahlen. Vor dem Familiencamp hätten wir uns nicht vorstellen können, für hundert Menschen vier Tage zu kochen mit den ganzen Einkäufen dafür, sich nur drei Bäder zu teilen usw. Jetzt wissen wir: Es geht.”
Welchen Einfluss hatte das Camp auf die Nachbarschaft?
Marcel: “Wir haben in diesen vier Tagen Freundschaften geknüpft und eine Identifikation mit der Nachbarschaft ermöglicht. Die Nachbarschaft als Ganzes hat dadurch unglaublich profitiert, auch wenn das vielleicht nicht alle mitbekommen haben.”
Sophie: “Bei Juniorjugend-Camps sprechen wir ja oft über die Entwicklung der Juniorjugendlichen und deren Umfeld. Bei diesem Familiencamp ging es jetzt auch um die Beziehungen innerhalb der Familien. Diese Gespräche waren sehr intensiv und wirken jetzt noch nach, insbesondere bei den Familien, die als Ganzes gekommen sind. Insgesamt war das Familiencamp kein isoliertes Event. Es standen Themen im Vordergrund, die sich damit beschäftigt haben, was wir tun, wenn wir zurückkommen. Es ging um Wandlung im eigenen Umfeld.”
Finden solche Räume regelmäßig statt?
Sophie: “Es ist ganz klar, dass wir einmal im Jahr gemeinsam wegfahren. Das nächste Mal wird es im Sommer sein. Wir haben bereits dieselbe Location gebucht und angefangen, Freunde einzuladen.”
Christof: “Es ist natürlich wichtig, dass da nicht zu viel Zeit dazwischen ins Land streicht, in der eine Entfremdung stattfinden könnte oder sich die Freundschaften wieder auflösen. Deshalb ermöglichen wir mit Nachbarschaftstreffen, Juniorjugend-Gruppen und weiteren Angeboten, dass alle dabeibleiben können.”
Sophie: “Wir waren jetzt über hundert Leute. Da gehen sicher beim nächsten Ausflug noch ein paar mehr mit. Früher oder später wird es also dazu kommen, dass wir das, was wir jetzt als Stadtteil machen, als Nachbarschaft durchführen werden. Ich bin gespannt, wie sich dann die Dynamiken innerhalb der Familien, die dann noch näher aneinander wohnen, entwickeln und welche Räume wir für diese neu entstehende Dynamik dann finden werden.”
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