Überall auf der Welt gehören Andacht und Meditation zum Alltag vieler Bahá’í und gelten als essenziell für die Entwicklung der Seele. Gleichermaßen wichtig ist die praktische Umsetzung des inneren persönlichen Wachstums in einem Beitrag zum Fortschritt der Gesellschaft. So bemühen sich Bahá’í zusammen mit ihren Freunden, aktiv an der Verbesserung ihres Umfeldes mitzuwirken, sich an der Bildung und Erziehung der jüngeren Generationen zu beteiligen und zum Wohle und Zusammenhalt ihrer Mitmenschen beizutragen. All diese Bemühungen fassen die Bahá’í in dem Begriff des Dienstes zusammen – dem freiwilligen, freudigen Helfen.
LANGENHAIN, Deutschland – Über den Sommer 2020 hinweg entwickelte sich eine vielversprechende Dynamik am Bahá’í-Haus der Andacht von Europa in Langenhain, Hofheim: Während zum einen vermehrt Familien aus der Umgebung den Bahá’í-Tempel besuchten, boten zum anderen immer mehr Jugendliche für eine kurze Zeit ihren Dienst am Haus der Andacht an. Diverse Veranstaltungen konnten weiterhin stattfinden, wobei der großflächige Raum viel Platz für ein verantwortungsvolles Einhalten der hygienischen Bestimmungen erlaubte.
Dienst und Begegnungen am Haus der Andacht
Für knapp drei Wochen kam auch ich nach Langenhain, um zusammen mit anderen Jugendlichen am Haus der Andacht mitzuhelfen. Dort wurden wir von einem Team von Freunden aus der Umgebung herzlich empfangen und durften gemeinsam einem bunten Spektrum von Aufgaben nachgehen. Von ganz praktischen Tätigkeiten wie Gärtnern, Laubfegen, Reinigen und Desinfizieren fand auch das Begrüßen und Begleiten von Besuchern und Besucherinnen seinen Platz.
Dabei entstanden jeden Tag aufs Neue tiefsinnige Unterhaltungen. Teils waren die Gäste an der Architektur des Bahá’í-Hauses der Andacht interessiert, die mit ihren charakteristischen neun Eingängen Offenheit für alle Religionen und Menschen symbolisiert. Andere teilten ihre persönlichen Eindrücke, wobei sich viele von der Stille beeindruckt zeigten. Ein Besucher hatte das Gefühl, dass die Ruhe „aus der Kuppel hinunter strömt“. Für viele bot zudem die gepflegte, naturnahe Gartenanlage ein geistig erholsames Umfeld.
Neue Perspektiven
Die letzten Jahre war ich hauptsächlich als Besucher am Haus der Andacht. Nun schenkten mir der Dienst und die Eindrücke der Besucher und Besucherinnen eine weitere Perspektive auf den Ort.
Im Gespräch mit Menschen aus der anliegenden Nachbarschaft merkte ich, dass sie den Tempel als den ihrigen begriffen. Manche besuchten die Anlage regelmäßig und brachten sogar Freunde und Familie mit. Vor allem aber sah ich, dass der Tempel, die Gärten und die Begegnungen eine Quelle der Freude und des inneren Friedens waren.
Diese Eindrücke und Erfahrungen prägten meine Haltung beim alltäglichen Dienst maßgeblich: Sah ich anfangs noch die Pflege und Instandhaltung der Anlage als hauptsächliches Ziel, lag mein Blick jetzt viel mehr auf den Menschen, die das Haus der Andacht besuchten. Mein Wunsch war es nun, ihnen eine möglichst inspirierende, geistig erfrischende und erhebende Erfahrung zu ermöglichen. Jedes freundliche und offene Gespräch verlieh dabei auch mir selbst Freude und Liebe.
Diese Freude und Liebe aus dem Dienst prägte auch mein persönliches Gebet im Bahá’í-Haus der Andacht. Zugleich gab mir das Gebet wiederum Kraft und Motivation zu dienen.
Jugend bewegt
Bereichernd für meine Zeit des Dienstes war zudem das gemeinsame, freundschaftliche Wirken im Team aus Jugendlichen und Älteren. Während sich die älteren Generationen schon seit Längerem vor Ort engagieren, hat die Zahl der zeitweilig unterstützenden Jugendlichen ab letztem Sommer bemerkenswert zugenommen.
Karin Dimitriou, die Direktorin des Bahá’í-Hauses der Andacht, sieht dabei in der gegenwärtigen Pandemie einen Faktor, der zum Anstieg des Interesses seitens der Jugendlichen beigetragen hat. Gleichzeitig sei aber auch unter befreundeten Jugendlichen „eine Dynamik entstanden“, die gerade durch das Teilen der Erfahrungen des Dienstes auf sozialen Medien bewegt wurde. In der Vergangenheit war eher eine Zeit von mindestens sechs Monaten für den Dienst am Haus der Andacht üblich. Um aber auf die neue Dynamik einzugehen, beschloss das Organisations-Team, flexibel und „offen für alle Möglichkeiten“ zu sein. Über einen „Kurzzeit-Jugenddienst“ wollte es nun aktiv lernen.
So haben seit den Sommermonaten bereits zehn Jugendliche für Zeitspannen von einigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten am Haus der Andacht mitgeholfen. In den Worten der Tempel-Direktorin stellt dies „eine riesige Bereicherung“ dar, die gemeinsames, generationenübergreifendes Lernen mit sich bringe. In dem Sinne lädt Karin Dimitriou auch für die Zukunft ein: „Es kann jeder dienen, keine Frage! […] Man sollte ein gewisses Verständnis für den Glauben haben, aber der Dienst ist offen für alle.“
Ein offener Raum für gemeinsames Gebet und Nachdenken über geistige und soziale Themen begrüßt auch alle, die den Bahá’í-Glauben und das Bahá’í-Haus der Andacht gerne erst einmal kennenlernen wollen: Ebenfalls seit den Sommermonaten bieten Freunde aus dem nahegelegenen Offenbach Jugendandachten am Haus der Andacht an.
Lokale Aktivitäten vor der Kulisse des Bahá’í-Hauses der Andacht
Eine weitere spannende Entwicklung, die ich während meiner Wochen in Langenhain beobachten konnte, war das Verbinden einiger örtlicher Veranstaltungen mit dem Bahá’í-Haus der Andacht.
Im August fand auf der Wiese vor dem Bahá’í-Tempel beispielsweise zum ersten Mal eine vom Yoga Zentrum Main Taunus organisierte Yoga-Session statt. Über 45 Teilnehmende übten sich dabei mit ausreichend Abstand in Sonnengrüßen. Anschließend bot sich die Gelegenheit für Gebet und Meditation im Haus der Andacht, die gut zwei Drittel der Beiwohnenden wahrnahmen. Am Ende desselben Monates veranstaltete das lokale Künstlerensemble Sonnenkind ein Open-Air-Konzert auf dem Feld gegenüber. Neben unterhaltsamer Musik bot dies auch eine Möglichkeit für Gespräche über Zusammenhalt in der Nachbarschaft vor der Kulisse des Bahá’í-Hauses der Andacht. Nicht zuletzt besuchte ein Filmteam aus Frankfurt im Rahmen einer digitalen Umsetzung des Frankfurter Tages der Religionen die Bahá’í-Gemeinde am Haus der Andacht. Dabei stand die Frage nach dem Zusammenhang von „Religion und Natur“ im Fokus sowie die Umsetzung in den verschiedenen Glaubensgemeinschaften.
Rückblickend nehme ich persönlich eine Zeit voll abwechslungsreicher Dienste, ermutigender Gespräche und Kraft gebendem Gebet mit. Ich bin dankbar für neue Freundschaften und verspüre den Wunsch, die Atmosphäre am Bahá’í-Haus der Andacht in gewisser Weise auch für mein Leben und meine Begegnungen zu Hause einzufangen.